Wegen TikTok-Hashtag: Razzia bei Minderjährigem in Bayern

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Wegen TikTok-Hashtag: Razzia bei Minderjährigem in Bayern

Wegen TikTok-Hashtag: Razzia bei Minderjährigem in Bayern

Ein 14jähriger nutzt auf TikTok den Spruch „Alles für Deutschland“. Seine Familie kassiert dafür am Nikolaustag in aller Frühe eine Hausdurchsuchung. Ist das noch verhältnismäßig?

von Vincent Steinkohl

Am 6. Dezember klingelt es in aller Herrgottsfrühe an der Tür. Doch es ist nicht der heilige Nikolaus, und die Bewohner bekommen keine Leckereien überreicht – die zwei ungebetenen Gäste sind Beamte der bayerischen Kriminalpolizei. Hausdurchsuchung. Der Beschuldigte ist jetzt 15 Jahre alt. Hat er jemanden umgebracht? Ausgeraubt? Mit Drogen gehandelt? Nicht ganz. Julian L. (Name geändert) soll verbotene Dinge im Internet geschrieben haben.

Der Beschluß der Münchner Staatsanwaltschaft, der der Redkation vorliegt, schildert die Vorwürfe gegen L. Er habe vor mehr als einem Jahr, im November 2023, als 14jähriger auf seinem TikTok-Kanal „deutscher.patriot1161“ zweimal den Hashtag „AllesfürDeutschland“ genutzt. Die Justiz sieht hier einen Verdacht für die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die SA-Losung zu verbreiten, ist strafbar nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuchs, Erwachsene können dafür bis zu drei Jahre Knast kassieren. Zuletzt wurde der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wegen Nutzung der Parole in zwei Prozessen zu Geldstrafen verurteilt.

Justiz verteidigt Hausdurchsuchung

Weiter heißt es in dem Schreiben: „Der Beschuldigte verfügte zu den jeweiligen Tatzeitpunkten über die erforderliche Reife, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“ Die angeordnete Hausdurchsuchung stehe „in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat“.

Der Betroffene hat daran Zweifel. Die Polizisten hätten nicht nur ihn, sondern auch seinen im Durchsuchungsbeschluß überhaupt nicht erwähnten 16jährigen Bruder befragt. L. betont, weder er noch sein Bruder hätten in der Vergangenheit Konflikte mit dem Gesetz gehabt, der ältere der beiden ist seit Oktober dieses Jahres CSU-Mitglied.

Auch erklärt L. seinen provokant anmutenden TikTok-Namen „deutscher.patriot1161“. Die Zahlenfolge steht für den Code „AAFA“, also „Anti Antifa“. Damit sei keine generelle Ablehnung von sogenannten Antifaschisten gemeint, „sondern eine Kritik an den Methoden, die von einigen sogenannten ‘Antifas’ angewandt werden, die ich als faschistisch empfinde“, sagt L. der Redaktion. Immer wieder macht die linksextreme Antifa mit schwersten Verbrechen auf sich aufmerksam. Zuletzt etwa die sogenannte Hammerbande, die echte und vermeintliche Rechtsextremisten brutal überfiel und folterte.

„Bevor man sowas postet, googelt man das“, sagt der Polizist

Die Beamten seien nach erfolgloser Sichtung seines Telefons zum Schluß gekommen, nicht der Beschuldigte L., sondern sein Bruder sei der Betreiber des TikTok-Kanals. „Die Polizisten haben unter anderem Fotos von Daten wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen aber auch von meinem Zimmer oder von Büchern, die mein Bruder und ich besitzen, gemacht. Darüber hinaus wurde das Handy meines Bruders bis auf Weiteres beschlagnahmt“, erzählt L. der Redaktion.

Die beiden Polizisten seien „neutral“ und „nicht besonders aggressiv“ gewesen, beschreibt L., der zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt war, die Situation. Auf seine Behauptung, er habe nicht gewußt, daß „Alles für Deutschland“ verboten sei, soll ein Beamter gesagt haben: „Bevor man sowas postet, googelt man das.“

Seltsame Prioritäten

Ist angesichts des Alters des Beschuldigten die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden? Ist es wirklich sinnvoll, Minderjährige vor Gericht zu zerren? Und wieso beschlagnahmt die Polizei das Handy von jemandem, gegen den gar nicht ermittelt wird? Zu all dem will die Staatsanwaltschaft keine Auskunft geben. Eine Sprecherin der Behörde bestätigt das laufende Verfahren und die Durchsuchung. Aber: „Insbesondere auch wegen des jugendlichen Alters des Beschuldigten“, könne sie keine weiteren Angaben zu dem Fall machen.

Wie geht es jetzt weiter? Der Vater versucht inzwischen, das Telefon des älteren Bruders zurückzubekommen, da dieser das dringend für seine Arbeit brauche. Die Behörden sollen entgegnet haben, daß das prinzipiell nicht vorgesehen sei, weil es sich bei dem Telefon um ein „Tatwerkzeug“ handele. Auch sollen die Beamten damit gedroht haben, der Familie die „Dienstleistung des Entschlüsselns“ in Rechnung zu stellen, sollte der 16jährige Bruder seinen Entsperr-Code nicht freiwillig bereitstellen. Die Familie erwägt inzwischen rechtliche Schritte.

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