Es ist das sechste Mal in der Geschichte der Republik: Ein Bundeskanzler stellt gegenüber dem Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage. Einen entsprechenden Antrag gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes hat Olaf Scholz (SPD) nach dreijähriger Amtszeit schriftlich im Parlament eingebracht – mit dem Ziel, bei der Abstimmung am kommenden Montag (16. Dezember) zu scheitern und so die wichtigste Hürde auf dem Weg zu den geplanten Neuwahlen am 23. Februar 2025 zu nehmen. Der Deutschland-Kurier klärt wichtige Fragen.
Nach dem unrühmlichen Aus seiner Ampel-Koalition und dem Rausschmiss von Finanzminister Christian Lindner (FDP) will Scholz erreichen, dass der Bundestag früher als regulär geplant neu gewählt wird – am 23. Februar statt im September 2025. Derzeit führt der Noch-Kanzler eine von SPD und „Grünen“ getragene Minderheitsregierung ohne eigene Bundestags-Mehrheit. Ein (gewolltes) Scheitern bei der Vertrauensfrage ist für den Kanzler praktisch die einzige Möglichkeit, pro aktiv eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen.
Zuletzt verfuhr Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 so. Dieses Vorgehen, das eigentlich eine „unechte Vertrauensfrage“ ist, gilt als verfassungsrechtlich umstritten, weil es nicht – wie eigentlich von den „Vätern“ des Grundgesetzes beabsichtigt – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen. Vielmehr soll gerade das Gegenteil erreicht werden, nämlich die für die Vertrauensfrage nötige Mehrheit zu verfehlen. Das Bundesverfassungsgericht billigte dieses Vorgehen 2005 aber grundsätzlich.
Außer Schröder, der 2001 schon einmal die Vertrauensfrage stellte (in diesem Fall eine „echte“), hatten zuvor bereits Willy Brandt (1972), Helmut Schmidt (1982) und Helmut Kohl (1982) von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Scholz setzt damit eine quasi unfreiwillige „Partei-Tradition“ fort: Alle Kanzler der SPD haben es in unterschiedlichen Konstellationen nicht geschafft, ihre Regierungen bis zum regulären Ende der jeweils vierjährigen Legislaturperiode zu führen.
Ist sicher, dass Scholz keine Mehrheit bekommt?
Der Deutsche Bundestag wird am kommenden Montag, den 16. Dezember, über den am 12. Dezember bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) eingebrachten Antrag des Kanzlers abstimmen. Scholz wird den Abgeordneten seine Gründe für die Vertrauensfrage in einer Rede erläutern. Anschließend wird es noch eine etwa 90-minütige Aussprache geben. Danach entscheidet das Parlament voraussichtlich in namentlicher Abstimmung. Das bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten öffentlich wird.
Dass Scholz wie beabsichtigt „verliert“, gilt als sicher, auch wenn es theoretisch noch Unsicherheitsfaktoren gibt.
Dem Bundestag gehören 733 Abgeordnete an. Um das Vertrauen des Parlaments (wider Willen) ausgesprochen zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit aller Parlamentarier, auch „Kanzlermehrheit“ genannt.
Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Die „Grünen“, der noch in der Regierung verbliebene Juniorpartner der SPD, haben sich noch nicht entschieden. Ihre Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hatte zwar kurz nach dem Ampel-Aus verkündet, dass die Ökosozialisten ebenfalls für Scholz stimmen würden. Inzwischen ist aber auch eine Enthaltung im Gespräch. Enthaltungen zählen bei der Abstimmung wie Nein-Stimmen.
Sollten SPD und „Grüne“ jedoch geschlossen für Scholz stimmen, wären das zusammen 324 Stimmen, nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Doch was, wenn womöglich FDP-Abgeordnete für Scholz stimmen, weil sie befürchten, bei Neuwahlen aus dem Parlament zu fliegen?
Dann könnte es rein theoretisch auf das Abstimmungsverhalten der AfD, von fraktionslosen Abgeordneten sowie den Gruppen von BSW und Linke ankommen.
Die AfD hat 76 Abgeordnete und könnte rein theoretisch und unter bestimmten Annahmen Scholz zu einer Mehrheit verhelfen. Das wäre zwar nach außen kaum vermittelbar, weil die AfD stets treibende Kraft in der Neuwahl-Debatte war; aber mit Jürgen Pohl hat bereits ein AfD-Abgeordneter angekündigt, für Scholz stimmen zu wollen – weil er ihn, verglichen mit dem Unions-Kanzlerkandidaten und Kriegstreiber Friedrich Merz (CDU), für das „kleinere Übel“ hält. Laut AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla besteht bei der Abstimmung kein Fraktionszwang. Dass sich aber eine größere Zahl von AfD-Abgeordneten Pohl anschließt, gilt in Fraktionskreisen als ausgeschlossen.
Wie geht es nach der Vertrauensfrage weiter?
Scholz wird nach – wie zu erwarten – verfehlter Mehrheit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Dazu hat das Staatsoberhaupt dann drei Wochen Zeit, also bis zum 6. Januar. Wenn sich der Bundespräsident dafür entscheidet, muss die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Der Bundespräsident kann sich aber auch gegen die Auflösung entscheiden – ebenfalls theoretisch. Denn in Artikel 68 der Verfassung steht nur, dass der Bundespräsident den Bundestag auflösen „kann“ – nicht, dass er ihn auflösen muss.
Dass Steinmeier die Auflösung verweigert, ist zu 99,9 Prozent ausgeschlossen. Er hat bereits wissen lassen, dass er den angestrebten Neuwahltermin am 23. Februar für realistisch hält. Zudem hat er erklärt, nach welchem Maßstab er entscheiden werde: „Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung.“
In den kommenden Wochen werden die Parteien ihre Wahlprogramme beschließen und auf Parteitagen formal ihre Kanzlerkandidaten wählen. Der amtierende Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Parlamentes mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen. Das Parlament kann jederzeit aus gegebenem Anlass zusammentreten, es kann (Mehrheit vorausgesetzt) Gesetze beschließen. Auch die Bundestags-Gremien (z.B. Ausschüsse, Untersuchungsausschüsse) bestehen bis zum Zusammentreten der neu gewählten Volksvertreter weiter.
Was ist mit der Regierung?
Auch die Bundesregierung ist weiterhin im Amt – und zwar nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestages endet laut Artikel 69 das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Sie bekommen dann vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunden überreicht.
Der neue Bundestag muss nach Artikel 39 der Verfassung spätestens am 30. Tag nach seiner Wahl zusammentreten. Wegen sich in die Länge ziehender Koalitionsverhandlungen ist es fast schon die Regel, dass der Bundespräsident den Kanzler ersucht, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. Dazu ist dieser dann verpflichtet, gleiches gilt für die Minister.
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