Die Schande von Erfurt: Wer dazu im Blätterwald des Mainstreams nach einer Stimme der Empörung sucht, der sucht vergeblich. Hier Auszüge aus der morgendlichen Presseschau des System-Senders „Deutschlandfunk“:
„Ob die Brombeer-Koalition dem Land Thüringen wohl Glück bringen wird?“, sorgt sich das STRAUBINGER TAGBLATT und jauchzt: „Der Start ist jedenfalls glatt verlaufen, denn Mario Voigt ist im ersten Wahlgang gewählt worden. Was keine Selbstverständlichkeit war, schließlich verfügt die Koalition aus Voigts CDU, der SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht nur über 44 von 88 Stimmen.“
Die linke TAZ schreibt voll des Lobes: „Christdemokrat Voigt ist ein ziemliches Kunststück gelungen. Mit viel Kreativität und Biegsamkeit sowie einem großen Willen zur Macht hat er die CDU in Thüringen zurück in die Regierung gebracht. Mit einer Koalition, die im Landtag nur die Hälfte der Stimmen, also keine eigene Mehrheit hat, und mit einem Beschluss seiner Bundespartei, der die Zusammenarbeit mit der Linkspartei untersagt. Voigts Parteifreund Michael Kretschmer, der das Ganze in Sachsen noch vor sich hat, dürfte ihn darum beneiden.“
„So reibungslos wie die Wahl von Voigt wird der Regierungsalltag kaum verlaufen“, meint allerdings die STUTTGARTER ZEITUNG: „Nicht allein, weil er sich ständig neue Mehrheiten suchen muss, um Gesetze und den Landeshaushalt absegnen zu lassen. Die AfD, größte Partei im Landtag, wird sich alle Mühe geben, Sand in den Regierungsbetrieb zu streuen – und Voigts Legitimität in Zweifel zu ziehen. Dafür wird ihr der Ministerpräsident mit jeder Abstimmung, bei der er sich auf die Linke stützen muss, neue Stichworte liefern.“
Die BERLINER MORGENPOST rät der Merz-CDU offen zum Pakt mit den Kommunisten: „Die Bundes-CDU von Friedrich Merz sollte die Vorgänge von Erfurt zum Anlass nehmen, ihre Haltung zur Linkspartei – oder besser zu dem, was noch davon übrig ist – grundlegend zu überdenken. Warum die moskautreue Abspaltung BSW notfalls als Partner infrage kommen kann, die pragmatischen Teile der Linkspartei aber nicht, haben Merz und seine Leute bis heute nicht überzeugend erklärt.“
Der Berliner TAGESSPIEGEL sieht es ähnlich: „Die bisherige reine Lehre der CDU, die Gleichbehandlung von Linken und AfD, war schon immer fragwürdig. Ja, die Linke ist eine Nachfolgepartei der SED (so wie die CDU Nachfolgepartei der regimetreuen DDR-CDU ist). Doch die Linke hat sich längst gehäutet und demokratisch bewährt. Sie ist genauso im Westen angekommen wie Thüringens CDU, und gewiss mehr als Sachsens CDU.“
„Willkommen in der neuen Realität der bröckelnden Brandmauern“, unterstreicht die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus und bedauert: „Das Dilemma für die Union besteht darin, dass die Zusammenarbeit mit der Linken praktisch dazu führt, dass die AfD als einzige wirkliche Opposition im Thüringer Landtag wahrgenommen werden dürfte.“
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER bewertet die Zusammenarbeit von CDU und Kommunisten in Thüringen gar als ein gutes Zeichen für die Demokratie: „Die Unvereinbarkeit von Positionen ist nichts, was irgendwo beschlossen werden müsste. Sie ergibt sich ganz automatisch aus den Grundhaltungen der verschiedenen demokratischen Parteien und ihrem Willen beziehungsweise Unwillen, mit politischen Konkurrenten Kompromisse zu schließen. Überhaupt täte es unserer Demokratie gut, wenn es wieder mehr sachlichen Diskurs und weniger moralischen Dogmatismus in den Parlamenten gäbe.“
Die linksgrüne SÜDDEUTSCHE ZEITUNG sorgt sich: „Die Bildung immer bunterer Regierungen geht mit einem Paradox einher: Je heterogener diese Bündnisse sind, je mehr sie unter innerer Spannung stehen, desto mehr steigt der Leistungsdruck. Denn sie sind trotz ihrer Unvollkommenheit zum Erfolg verdammt. Scheitern sie, gewinnen die Populisten einen talking point dazu: ‚Wir haben es euch immer gesagt – die Alt-Parteien können es einfach nicht.‘ Sollten sich die heutigen Entwicklungen fortsetzen, könnten insbesondere im Osten Parteien wie AfD und BSW mittelfristig eine Mehrheit erreichen und gemeinsam regieren. Auch dies wäre eine heterogene Koalition – eine zum Fürchten“, notiert die SZ.
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